Marie Luise von Halem spricht zum Gesetzentwurf der CDU-Fraktion „Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes“

19.03.15 –

Alle diejenigen, die Kinder oder Enkel mit Hochsommer-Geburtstagen haben (ich habe zwei solche Kinder!), werden sich sicher gut erinnern können, wieviel Gedanken wir uns über den Einschulungstermin gemacht haben, wieviel Unsicherheit uns begleitet hat und wie wichtig es ist, für dieses eine und natürlich einzigartige Kind den Start in den Ernst des Lebens so gut wie möglich zu gestalten.

Wir nehmen den geballten Unmut, den die Unterschriftensammlung deutlich macht, sehr ernst. Ich habe selbst eines meiner Kinder zurückstellen lassen und ich kann die Eltern gut verstehen, die in der Schule und in unserer Gesellschaft überhaupt den großen Leistungsdruck kritisieren und ihren Kindern noch ein unbeschwertes Jahr Kindheit gönnen wollen.

Kinder sind so unterschiedlich und deshalb geben wir dem Willen der Eltern, die sich bei ihren Überlegungen natürlich mit den Erzieherinnen und der Schule beraten, höchste Priorität! Das zum Thema zu machen, den Elternwillen im Rückstellungsverfahren zu stärken, ist Verdienst der Elterninitiative, die den Anstoß zum Antrag der CDU gegeben hat.

Dass Eltern, die ihre Kinder zurück stellen lassen wollten, von den Schulleitern gesagt kriegen: „Das können Sie vergessen, dann kriegen wir die Klasse nicht voll“, ist unglaublich! So etwas dürfen wir nicht hinnehmen!

Ähnlich sehe ich das in den Fällen, wo von Eltern weitere psychologische Gutachten eingefordert wurden. Nein, auch das darf nicht sein, das Einschulungsgutachten reicht!

[Im letzten Jahr sind übrigens von 2019 Anträgen auf Rückstellung 1880 genehmigt worden, also 93,1%. Dem Elternwillen ist also in hohem Maße Rechnung getragen worden. Es gab 36 Dissensverfahren, von denen wiederum 22 mit einer Rückstellung endeten. Es bleiben also 14 strittige Fälle landesweit. (Von denen übrigens die Hälfte in Potsdam liegen!)]

Durch die Verschiebung des Einschulungsstichtages auf den 30.6., verändern wir lediglich, dass alle regelhaft eingeschulten Kinder auf dem Papier mindestens 6 Jahre alt sind. Aber Schulreife macht sich nicht am Erreichen des 6. Geburtstages fest!

Schon seit Jahren wird bundesweit über die Heterogenität von Einschulungskindern diskutiert. Mittlerweile gehen neuere Untersuchungen sogar von bis zu 3-4 Jahren Unterschieden in den Entwicklungsständen der Kinder aus. Nur die alleinige Verschiebung des Einschulungsalters löst dieses Problem nicht. Es bleibt die Frage, wie mit den unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder umgegangen wird.

Wir müssen deshalb auf zwei Ebenen Konsequenzen ziehen. Erstens auf der formalen, in Bezug auf das Rückstellungsprocedere:

Es darf nicht hingenommen werden, dass Schulleitungen eine Rückstellung verweigern aufgrund der Klassengröße. Und als entwürdigend empfundene Zusatzgutachten braucht es nicht. Beides sieht das Ministerium zum Glück genauso! Zudem müssen die Schulleitungen erneut aufgefordert werden, den Elternwillen künftig besser zu berücksichtigen.

Zweitens müssen wir weitere Schritte gehen zu einer pädagogischen Verbesserung des Übergangssystems. Drei Punkte nenne ich hier, und da versagt die Landesregierung:

A. Die NUBBEK-Studie von 2013 besagt – auch darüber haben wir hier schon oft geredet! - dass nur knapp 10% aller Kitas bundesweit gute bis sehr gute Qualität haben. Wir haben deshalb hier ein Kita-Qualitätsmanagement gefordert (die Linke im Bundestag im September letzten Jahres übrigens sogar ein Kita-Qualitätsgesetz!). Hier im Landtag haben SPD und Linke das abgelehnt!

B. Gorbiks: Seit 2008 haben wir den ‚Gemeinsamen Orientierungsrahmen für die Bildung in der Kindertagesbetreuung und in der Grundschule’. Hier ist wir das Instrument, das aufzeigt, wie der Übergang von Kita zur Schule gemeinsam so gestaltet werden kann, dass er für das Kind eine Entwicklungschance ist. Mit der Einführung von Gorbiks erhielten die Grundschullehrkräfte eine zusätzliche Abminderungsstunde – knapp bemessen, angesichts der Herausforderung, in der Regel ja die Kontakte zu mehreren Kitas herzustellen, aus denen die künftigen Erstklässler_innen kommen. Die Kitas allerdings erhielten nie zusätzliche Kapazitäten dafür! So braucht man sich auch nicht zu wundern, dass auch dieses Projekt (wie so viele andere!) in Struktur und Theorie zwar großartig, in der Praxis allerdings ziemlich verkümmert daher kommt.

C. Und das nächste großartige Projekt, dass das SPD-geführte Ministerium verkümmern lässt: Flex. - Seit den 90er Jahren wird über die zunehmende Heterogenität von Kindern im Einschulungsalter diskutiert und über die Nachteile einer späten Einschulung. Die Antwort darauf heißt: flexible Schuleingangsphase, ein Konzept für die ersten beiden Klassen, das die Kinder in ein bis drei Jahren durchlaufen können. Dieses Konzept gehörte zu den zentralen Empfehlungen der KMK, es ist eine der wichtigsten Antworten auf PISA, und es ist ein Armutszeugnis, dass laut der aktuellsten KA zu Flex nur 163 von insgesamt 437 Grundschulen, also nur 37%, überhaupt Flex-Klassen haben, und manche Schulen darüber nachdenken, die flexible Eingangsphase zu beenden, weil sie die Ressourcen dafür nicht haben.

Traurig ist, dass wir alle wissen, dass wahrscheinlich mehrere Kindergenerationen die Grundschule durchlaufen werden, bis bei diesen Punkten eine wahrnehmbare Verbesserung eintritt. Darauf wollen und können die Eltern nicht warten, deshalb lassen sie lieber ihre Kinder zurückstellen. Das ist doch klar wie Kloßbrühe!

Wenn wir den Stichtag verändern, müssen wir trotzdem wissen, dass die eigentlichen Baustellen woanders liegen: in der Kita, in der Grundschule und bei den Übergängen. Deshalb wollen wir die Überweisung in den Bildungsausschuss, dort wollen wir darüber diskutieren, möglichst mit Anhörung!

Noch trauriger ist, eigentlich sogar scharf an der Grenze zur Unredlichkeit, dass SPD und Linke sich dieser Diskussion im Ausschuss verweigern wollen.

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frühkindliche Bildung | Reden