Menü
19.01.17 –
Marie Luise von Halem spricht zum Konzept der Landesregierung „Gemeinsames Lernen in der Schule“
- Es gilt das gesprochene Wort!
[Anrede] „Alle Kinder ... bleiben Kinder ihrer Schule, auch wenn sie in Leistung und Verhalten Probleme haben (und machen). ... Inklusive Pädagogik ist eine Pädagogik, die das einzelne Kind nicht isoliert und nur unter Lernaspekten betrachtet, sondern seine sozialen Bedürfnisse und Realitäten in der Lerngruppe, in der Schule, in der Familie und im Freundeskreis in den Mittelpunkt der Unterstützung rückt.“ So hat Prof. Preuss-Lausitz in seiner Studie zu Brandenburgs inklusiver Schulentwicklung, die wir zu Anfang der letzten Legislaturperiode in Auftrag gegeben haben, die Grundprinzipien inklusiver Pädagogik beschrieben. Damals, in der letzten Legislaturperiode, passierte ja auch Einiges in Sachen Inklusion – die damalige Ministerin Frau Münch wollte sie, die SPD aber hat sie gegen die Wand fahren lassen. Das Pilotprojekt ‚Inklusion in Grundschulen’ wurde initiiert und der wissenschaftlicher Beirat hat hervorragende Empfehlungen verabschiedet. Dann aber kam die böse Fee mit der Spindel und stach Dornröschen in den Finger, die in hundertjährigen Schlaf versinkt, wie wir alle wissen. Das Projekt Inklusion schlief zwar keine hundert, aber immerhin vier volle Jahre – innerhalb derer Brandenburg, einst Spitzenreiter in Sachen Inklusion, auf Platz 7 im Bundesvergleich absank. Und innerhalb derer unzählige Kinder mit Förderbedarfen in Brandenburg nicht die Unterstützung bekamen, die sie hätten bekommen können. Jetzt hat der Schlaf ein Ende, endlich, wir haben das ja auch immer wieder beantragt, und ja, natürlich, auch wir begrüßen das neue Konzept. Ich hätte auch gerne länger geredet und mehr Positives aufgezählt, so aber verweise ich auf meine Vorredner*innen und erwähne nur noch einen herausragenden Punkt: das Prinzip der freiwilligen Teilnahme. Das war genau der richtige Schachzug! – Und dass sich jetzt tatsächlich bereits 70 Schulen beworben haben, heißt ja auch, dass der Plan aufgeht. Trotz des Vorlaufs mit den Pilotschulen und dessen wissenschaftlicher Begleitung bleiben doch noch viele Stolpersteine: Die Schulvisitationen zeigen bei den Profilmerkmalen „Differenzierung im Unterricht“ (Nr. 9) und „interne Evaluation“ (Nr. 19) den absoluten Tiefpunkt – und zwar durchgängig durch alle Schulformen. Das macht nicht munter für Inklusion. Jetzt sollen zwar alle beteiligten Lehrpersonen eine 40-stündige Basisqualifikation erhalten. Aber wappnet die wirklich? Und wie wird sie umgesetzt? – Wo wir doch sehen, wie schwierig das ist mit der Teilnahme an Fortbildungen. Nicht nur der Verband der Sonderpädagogen sorgt sich um die Befähigung, den Unterricht wirklich anders zu gestalten. Und wer hilft den Lehrkräften im laufenden Verfahren, unterstützt sie bei aufkommenden Fragen? Und wie bekommen wir genügend SonderpädagogInnen, wenn wir sie nicht selber ausbilden? Die Lehrkräfte sicher zu machen, mit den neuen Herausforderungen umgehen zu können, ist wohl die wichtigste Gelingensbedingung für Inklusion! Warum werden die OSZs nicht in das offizielle Programm aufgenommen? Und warum dürfen die Schulen in freier Trägerschaft nicht mitmachen? Deren Einbeziehung wird wohl wieder Jahre dauern, so wie bei ihrer Unterstützung in Sachen Flüchtlingskinder. Wie gehen wir mit Autismus um? Wann gibt es endlich Qualitätskriterien für den Ganztag, der in dem Konzept so als geeignetes Modell gepriesen wird? Warum wird die Inklusion nicht im Schulgesetz verankert? Vor allem: Warum wir der Vorbehalt in §29 nicht gestrichen? Wie stehen wir dazu, dass die sonderpädagogischen Förderbedarfe, von denen wir hier reden, nämlich LES, also Lernen, emotional-soziale Entwicklung und Sprache, im internationalen Kontext eigentlich gar nicht als Förderbedarfe anerkannt sind, sondern nur körperlich-motorische Entwicklung, Sehen, Hören und geistige Entwicklung? Alles lauter Stolperfallen – die deutlich machen, dass wir immernoch ziemlich am Anfang stehen, am Anfang eines Weges allerdings, der sich zu gehen lohnt, auch wenn er sicher für unser Land noch eine Generationenaufgabe ist – und nicht nur im Bildungsbereich. Aber: WER NUR KRIECHT, KANN AUCH NICHT STOLPERN. Wir sind froh, dass es mit dem Kriechen endlich ein Ende hat. Aus dem Stolpern müssen wir dann nur die richtigen Schlüsse ziehen.
Kategorie