Marie Luise von Halem spricht zum Bericht der Landesregierung „Evaluation des Konzepts ,Geschichte vor Ort. Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990‘“

- Es gilt das gesprochene Wort! [Anrede] Diesem Evaluationskonzept ist die Reifezeit von achteinhalb Jahren anzumerken und der Landesregierung gebührt Dank dafür, genauso wie für den insgesamt sehr verantwortungsvollen Umgang mit der Vielfalt authentischer Gedenkstätten! Uns liegt eine Vielzahl von Anregungen unterschiedlicher Akteure vor, entstanden aus jahrelanger Debatte und Zeugnis teils kontroverser Perspektiven. Das werden wir hoffentlich im Rahmen einer Ausschussanhörung vertiefen. Zwei Punkte aber möchte ich hier noch erwähnen:

31.01.18 –

- Es gilt das gesprochene Wort!

[Anrede]

Diesem Evaluationskonzept ist die Reifezeit von achteinhalb Jahren anzumerken und der Landesregierung gebührt Dank dafür, genauso wie für den insgesamt sehr verantwortungsvollen Umgang mit der Vielfalt authentischer Gedenkstätten!

Uns liegt eine Vielzahl von Anregungen unterschiedlicher Akteure vor, entstanden aus jahrelanger Debatte und Zeugnis teils kontroverser Perspektiven. Das werden wir hoffentlich im Rahmen einer Ausschussanhörung vertiefen.

Zwei Punkte aber möchte ich hier noch erwähnen:

Erstens: Wenn wir, wie es im Antrag des letzten Jahres heißt, die Voraussetzungen dafür schaffen wollen, „dass alle Brandenburger Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, im Laufe ihrer Schulzeit wenigstens einmal sowohl einen Gedenkort der Opfer des Nationalsozialismus als auch der SED-Diktatur besuchen ... können“ – dann sollten wir uns doch mal etwas genauer Gedanken machen darüber, wie wir das umsetzen und es nicht weiter bei dieser Worthülse belassen.

Zweitens: Erinnerungskultur ist Schwerpunktsetzung beim Blick auf die Vergangenheit. Die Auseinandersetzung damit hat immer das Ziel, Gegenwart und Zukunft aus neuen Perspektiven heraus zu reflektieren. Mit dem Fokus, auf den wir unsere Erinnerung richten, schaffen wir Identität, im individuellen wie im kollektiven Sinne. Wir erinnern an Nationalsozialismus und an SED-Diktatur und modellieren damit unser Selbstbild.

Aber unsere Welt ist größer geworden. Nein, sie war es schon immer. Rassismus und Antisemitismus während des 3. Reiches waren von der Kolonialgeschichte geprägt, auch in Brandenburg. Ich erinnere nur an die Brandenburger Kolonie „Groß Friedrichsburg“, von wo aus Tausende von Sklaven in die Karibik verschifft wurden.

Der authentische Ort ist weit weg, hat aber mit Brandenburg zu tun. - Vom sogenannten „Halbmondlager“ in Wünsdorf, wo im ersten Weltkrieg ca 4.000 überwiegend muslimische Gefangene aus den Kolonien Englands und Frankreichs interniert waren und wo die erste zur Religionsausübung bestimmte Moschee Deutschlands stand, gibt es nichts Nennenswertes mehr zu sehen.

In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war ein Großteil der Welt unter europäischer Herrschaft, die rassistischen Denkmuster des Nationalsozialismus hatten tiefe Wurzeln. Hat Dekolonisierung also auch etwas mit Brandenburg zu tun?

Wer hier dazu gehören will, muss die konstitutive Bedeutung des Holocaust anerkennen, das ist die bekannte Rahmenbedingung. Gilt das auch für die Migrationsgesellschaft? Müssen wir nicht diejenigen, die zu uns kommen, fragen, welche Geschichten und Erinnerungen sie selbst mitbringen – um eine Diskussion auf Augenhöhe überhaupt zu ermöglichen? Wo ist der Resonanzboden für das Gedenken der Anderen? Brauchen wir den nicht, um Gegenwart und Zukunft anhand der Geschichte gemeinsam zu modellieren?

Dazu sagt die vorliegende Evaluierung nichts. Darüber reden müssen wir trotzdem.

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Reden