Marie Luise von Halem spricht zum Antrag der Fraktionen SPD und DIE LINKE „Gedenkstätten als wichtige Orte in der Auseinandersetzung mit Geschichte besser fördern“

- Es gilt das gesprochene Wort! [Anrede] Ja, auch wir begrüßen es, dass die Förderung für die Gedenkstättenstiftung mit dem letzten Doppelhaushalt erhöht worden ist und Brandenburg im Großen und Ganzen mit seiner Vielfalt an authentischen Gedenkstätten sehr verantwortungsbewusst umgeht. Es ist erfreulich, dass Gedenkstätten erweitert und erneuert werden können, dass wir jetzt die Euthanasie-Gedenkstätte haben, in Sachsenhausen hoffentlich bald ein neues Empfangsgebäude und – das freut mich als Enkelin eines Mannes, der im Oktober 1944 in Brandenburg-Görden hingerichtet wurde, ganz besonders – dass auch dieser authentische Ort demnächst neu zugänglich sein wird.

18.05.17 –

Ja, auch wir begrüßen es, dass die Förderung für die Gedenkstättenstiftung mit dem letzten Doppelhaushalt erhöht worden ist und Brandenburg im Großen und Ganzen mit seiner Vielfalt an authentischen Gedenkstätten sehr verantwortungsbewusst umgeht. Es ist erfreulich, dass Gedenkstätten erweitert und erneuert werden können, dass wir jetzt die Euthanasie-Gedenkstätte haben, in Sachsenhausen hoffentlich bald ein neues Empfangsgebäude und – das freut mich als Enkelin eines Mannes, der im Oktober 1944 in Brandenburg-Görden hingerichtet wurde, ganz besonders – dass auch dieser authentische Ort demnächst neu zugänglich sein wird.

Trotzdem ist der hier vorgelegte Antrag der Koalition eher enttäuschend.

Erstens, weil er die Gedenkorte für die SED-Diktatur völlig unterschlägt. Zweitens, weil er zwar wohlmeinend, aber oberflächlich und belanglos ist. Kurz gefasst beschränkt er sich auf: Wir sind gut und wir machen weiter so! - „Fortschreiben, weiter verbessern, unterstützen, anregen“ – das sind wohlbekannte Floskeln aus Koalitionsanträgen. Weder werden konkrete Maßnahmen formuliert, noch Ziele gesteckt. Damit ist keine einzige zusätzliche Jugendbildungsreferentin versprochen, kein einziger zusätzlicher Gedenkstättenpädagoge, keine bessere Unterstützung der vielen lokalen Aufarbeitungsinitiativen. Noch schlimmer: Wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen werden sollen, „dass alle Brandenburger Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, im Laufe ihrer Schulzeit wenigstens einmal sowohl einen Gedenkort der Opfer des Nationalsozialismus als auch der SED-Diktatur besuchen zu können“ – dann heißt das, dass es diese Möglichkeiten immer noch nicht gibt. Wieviele Jahre reden wir schon darüber?

Nein, offensichtlich ging es bei diesem Antrag vor allem um eine Wohlfühlhülle anlässlich des 8. Mais.

Das Einzige, was konkret gefordert wird, ist eine Evaluierung des Gedenkstättenkonzeptes. Hier heißt es tiefgründig, die Evaluierung solle „mit dem Ziel der Überarbeitung und der Priorisierung“ erfolgen. Welch klare, dezidierte  Ansage!

Auf die Diskussion der Evaluierung freue ich mich schon – auch ein Grund, dem Antrag zuzustimmen, in dem ja auch sonst nichts Falsches steht.

Wenn wir dann allerdings Ende des Jahres über Erinnerungskultur reden, sollten wir unseren Blick vielleicht mal etwas weiten:

Erinnerungskultur ist immer eine Schwerpunktsetzung beim Blick auf die Vergangenheit, die Auseinandersetzung damit hat immer das Ziel, Gegenwart und Zukunft aus neuen Perspektiven heraus zu reflektieren. Mit dem Fokus, auf den wir unsere Erinnerung richten, schaffen wir Identität, im individuellen wie im kollektiven, nationalen Sinne. Wir erinnern an Nationalsozialismus und an SED-Diktatur und modellieren damit unser Selbstbild.

Aber unsere Welt ist größer geworden. Nein, sie war es schon immer. Rassismus und Antisemitismus während des 3. Reiches waren von der Kolonialgeschichte geprägt. Und die fand auch in Brandenburg statt. Ich erinnere nur an die Kolonie „Groß Friedrichsburg“, von wo aus Tausende von Sklaven in die Karibik verschifft wurden.

Der authentische Ort ist weit weg, hat aber mit Brandenburg zu tun. Selbst vom sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf, wo im ersten Weltkrieg ca 4.000 überwiegend muslimische Gefangene aus den Kolonien Englands und Frankreichs interniert waren und wo die erste zur Religionsausübung bestimmte Moschee Deutschlands stand, gibt es nichts Nennenswertes mehr zu sehen.

In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war ein Großteil der Welt unter europäischer Herrschaft, die rassistischen Denkmuster des Nationalsozialismus hatten tiefe Wurzeln. Hat Dekolonisierung also auch etwas mit Brandenburg zu tun?

Wer hier dazu gehören will, muss den Holocaust anerkennen, das sind die bekannten Rahmenbedingungen. Gilt das auch für die Migrationsgesellschaft? Müssen wir nicht diejenigen, die zu uns kommen, fragen, welche Geschichten und Erinnerungen sie selbst mitbringen – um eine Diskussion auf Augenhöhe überhaupt zu ermöglichen? Wo ist der Resonanzboden für das Gedenken der Anderen? Brauchen wir den nicht, um Gegenwart und Zukunft anhand der Geschichte gemeinsam zu modellieren?

Zu all dem sagt der Antrag nichts. Darüber reden müssen wir trotzdem.

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Reden