Marie Luise von Halem spricht zu unserem Gesetzentwurf „Erstes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg - Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“

-Es gilt das gesprochene Wort! [Anrede] Im Zeitalter des (jedenfalls postulierten) lebenslangen Lernens mutet die alte Weisheit „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ein bisschen verstaubt an. Es ist nicht mehr so, dass wir uns zurücklehnen können, wenn wir den Status des ‚Hans’ erreicht haben. Nein, von uns allen wird erwartet, dass wir die Drehung der Welt genau beobachten und die Maxime unseres Handelns immer wieder neu überprüfen. Wer sich dem unter Bezugnahme darauf verweigert, jahrzehntelange Wiederholung Desselben belege den Reifegrad, wird heute eher belächelt.

14.12.17 –

-Es gilt das gesprochene Wort!

[Anrede]

Im Zeitalter des (jedenfalls postulierten) lebenslangen Lernens mutet die alte Weisheit „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ein bisschen verstaubt an. Es ist nicht mehr so, dass wir uns zurücklehnen können, wenn wir den Status des ‚Hans’ erreicht haben. Nein, von uns allen wird erwartet, dass wir die Drehung der Welt genau beobachten und die Maxime unseres Handelns immer wieder neu überprüfen. Wer sich dem unter Bezugnahme darauf verweigert, jahrzehntelange Wiederholung Desselben belege den Reifegrad, wird heute eher belächelt.

Außerdem wissen wir heute mehr darüber, wie Hänschen und auch Gretchen lernen. Ihre Hirne und Verhaltensmuster werden schon im Windelalter geprägt, früher, als man das lange Zeit vermutet hat. Wenn wir aus unseren Kindern mündige Demokrat*innen machen wollen, die nicht nur ausreichend ausgebildet sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, sondern darüber hinaus Zeit und Energie aufwenden, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen – und wie schwierig und kraftraubend das oftmals ist, wissen wir alle – dann müssen wir ihnen frühzeitig zeigen, dass das Engagement sich lohnt. Wer schon im Kindesalter mit seinen Wünschen ernst genommen wird, die oder der lernt früh, dass es auf jede ankommt, dass jeder gestalten kann und jede Stimme zählt. Dabei geht es um familiären Kontext, und es geht in ganz erheblichem Maße um Kindertagesstätten und um Schule. Die wichtigste Rolle spielt dabei nicht die richtige Anordnung des richtigen Unterrichtsstoffes zur demokratischen Grundbildung, sondern sehr viel mehr die lebensweltliche Erfahrung. Selbst gestalten zu können, in demokratischen Aushandlungsprozessen mit anderen – Gleichgesinnten und WiderständlerInnen – tatsächlich Einfluss auf das eigene Umfeld nehmen zu können, das ist die beste Schule der Demokratie. Vielleicht dabei sogar Fehler der Erwachsenen korrigieren zu können, die sich vielleicht nicht mehr so genau erinnern, wie und wo denn eine Skaterbahn gut konstruiert ist. Das spart letztlich auch kommunales Geld und erhöht die Akzeptanz. 

Dass diese Prozesse auf kommunaler Ebene – trotz viel guten Willens - oft so holprig sind, hat vor allem zwei Gründe:             

Erstens: Kinder und Jugendliche leben schneller. Ein Freizeitgelände zu planen, wird sie nicht begeistern, wenn es erst zu ihrem Berufsabschluss fertig wird. Und zweitens wird es sie nicht begeistern, wenn ihr in anstrengenden Diskussionsrunden zustande gekommenes Ergebnis bei den kommunalen Entscheidungsträgern nur im Papierkorb landet.

Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass die hier vorgelegte Änderung der Kommunalverfassung Wunder bewirkt. Keiner der hier angeprochenen Stolpersteine wird mit der Änderung der Kommunalverfassung per se beseitigt. Mit der Normierung allein ist es nicht getan. Aber für einen langfristigen Bewusstseinswandel brauchen wir solche Schritte, die wiederum geänderte Prozessabläufe nach sich ziehen. Wenn wir diesen Gesetzentwurf beschließen, werden Kommunen künftig überlegen müssen, auf welchem Wege sie Kinder und Jugendliche in Planungsprozesse einbeziehen. Wie das passiert, ist damit noch nicht vorweggenommen. Wir wollen auch den Kommunen nicht vorgreifen, es gibt viele Methoden, Kinder- und Jugendparlamente sind nur ein Weg unter vielen denkbaren. Kommunen sollen die Freiheit haben, den für sie richtigen Weg vor Ort zu finden.

Das gelingt ja auch vielerorts hervorragend, aber es gibt eben leider immer noch Kommunen, in denen die Würdenträger denken, sie könnten engagierte Kinder und Jugendliche einfach auf die Öffentlichkeit von Auschusssitzungen hinweisen und machten damit alles richtig.

Was wir hier vorlegen, haben wir 2011 und 2015 schon mal erfolglos beantragt. Rückenwind in meiner Hartnäckigkeit gibt mir jetzt

-         erstens das ständige Drängen der Jugendverbände,

-         zweitens die Tatsache, dass die Koalition nicht nur vor zwei Jahren zugesagt hat, diese Änderung bei der nächsten Novelle der Kommunalverfassung aufzunehmen, sondern auch, dass im Rahmen der Kreisgebiets- und Funktionalreform ein fast gleichlautender Antrag von den Koalitionsfraktionen vorgelegt wurde. Wir haben nur den Passus mit der „wachsenden Einsichtsfähigkeit“ gestrichen und fordern statt dessen eine Beteiligung „in angemessener Weise“. Und wir haben die Dokumentationspflicht ergänzt, beides auf Wunsch der Jugendverbände. Und nach der Vorlage des Brandenburgischen Bundesratsantrages auf Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz – worin das von uns geforderte Recht auf Beteiligung enthalten ist! – darf doch jetzt eigentlich nichts mehr schiefgehen.

-         Drittens gibt mir Rückenwind, dass es schwer erträglich ist, dass die Vertreter*innen der Koalitionsfraktionen in Debatten mit Jugendlichen seit Jahren sagen, sie wollten diese Änderungen auch – und dann geht doch parlamentarisch nichts voran.

-         Viertens denke ich, dass wir Jugendlichen in einer zunehmend von Älteren bestimmten Welt mehr Gewicht geben müssen.

Fünftens machen wir das, damit Hänschen und Gretchen von klein auf lernen, unterschiedliche Interessen zwar kontrovers, aber doch immer friedlich gegeneinander abzuwägen, eine Kultur der Vielfalt schätzen zu lernen, in der jede Stimme zählt. Hans und Grete können davon dann auch noch lernen.

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Reden