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erschienen in den PNN vom 21.07.2011
Neben der „Globalisierung“ gehört die „Bürgergesellschaft“ wohl zu den meist diskutierten Schlagwörtern der politischen Nachwendedebatten. Jetzt erfahren wir, Brandenburger Regierungspolitik stehe in der Nachfolge der Hollenzollern, Ministerpräsident Platzeck sei preußischer Traditionalist und wegen der Historie habe nach 1989 eine bürgerliche Alternative in Brandenburg nie eine Chance gehabt. Mit einem Parforceritt durch die Geschichte erklärte vor einigen Tagen Alexander Gauland die heutige Brandenburger Politik. Sein verwegener Beitrag über das „Land zwischen Oder und nirgendwo“ provozierte eine schwungvolle Debatte voller Rückschau und arm an Ausblicken.
Natürlich reizt Gaulands meinungsstarker Beitrag zum Widerspruch: Etwa mit der These, dass Stolpes Politik des „Hindurchlavierens“ typisch für die Brandenburger Mentalität sei. Hat nicht Stolpe auch vor dem Hintergrund seiner eigenen Vita den „Brandenburger Weg“ des Schweigens über die Vergangenheit eingeschlagen? Oder mit dem wenig schmeichelhaften Bild des proletarisch-bäuerlichen Kleingeistes, das den Brandenburger an sich kennzeichne? Schließlich mit dem fragwürdigen Zeugnis, das er den Parteien ausstellt. Das Bündnis 90, so Gauland, habe in den demokratischen Aufbruchsjahren nur das „Ein-Punkt-Thema Stasi“ gehabt. Wenn er sich da mal nicht täuscht: Natürlich waren es die Bürgerbewegten dieser Jahre, die die Stasizentralen besetzten, um so den Schrecken des 'Schilds und Schwerts der Partei' zu beenden. Doch ihre Ziele gingen weit darüber hinaus: Transparenz, demokratische Teilhabe, bürgerliche Freiheiten und, ja, auch damals schon ein nachhaltiger Umgang mit unseren Lebensgrundlagen.
Gauland hält heute wahrnehmbare Zeichen des Brandenburger Sonderweges, wie etwa laxe Stasi-Überprüfungen, für „Peanuts“. Er vernachlässigt, wie schwer verdaulich diese noch heute für Viele sind. Die Heftigkeit, mit der hierzulande über ehemalige Stasi-Täter gestritten wird, widerspricht seiner These. Und denen, die heute Zweifel an der moralischen Integrität von Polizisten, Richtern oder Staatsanwälten haben, ist mit solchen Einschätzungen wenig geholfen. Ein wenig mehr Fingerspitzengefühl gegenüber den Stimmungslagen der Brandenburgerinnen und Brandenburger hätte seiner spitzen Feder nicht geschadet.
Mit Fingerspitzengefühl brilliert die CDU-Fraktions- und Parteichefin Saskia Ludwig in ihrer Erwiderung auf Gauland auch nicht. Voller Verschwörungsgeist sieht sie die aktuelle Regierungspolitik als Beleg dafür, dass die „ersehnte Auslöschung alles Bürgerlichen das Ziel linker Ideologien“ sei und bleibe, und meint, die „sozialistische Behütung“ nach 1990 habe in Brandenburg „nur dem Machterhalt der alten Kader“ gedient. Wahr ist allerdings: Die Brandenburger Regierungspolitik machte in den letzten Monaten angesichts immer neuer Stasi-Fälle in Polizei und Justiz keinen guten Eindruck. Das beharrliche Nichtstun des Justizministers empört zu Recht viele Menschen. Und dass die SPD, die einst aus der Bürgerbewegung entstand, heute Positionen an ehemalige Stasi-Zuträger vergeben will, bleibt ebenso schwer verständlich wie der Filz, der beispielsweise in Potsdam wuchern konnte.
Dennoch: Von einer „professionell organisierten Unterhöhlung der Demokratie in Brandenburg“ zu reden, ist absurd. Zumal von der Vorsitzenden einer Partei, die zehn der zwanzig Nachwendejahre an der Regierung beteiligt war und in dieser Zeit sehr wohl einen wahrnehmbaren Beitrag zur Stärkung der Demokratie und bürgerlicher Tugenden hätte leisten können. Ludwigs Thesen mögen an den Biergarnituren des Oktoberfestes funktionieren, zur sachorientierten Diskussion tragen sie wenig bei. Der „freie Geist“ allein ist eben mitnichten eine Tugend.
Dass der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Holzschuher in seiner Replik auf Frau Ludwig Sachlichkeit und bürgerliche Tugenden in der Debatte anmahnt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich hat er sich selbst bei seinen Kommentaren zur Arbeit der Enquetekommission zur Stasi-Aufarbeitung, zu Gutachten und Gutachtern, die nicht auf Parteilinie lagen, wenig an die Spur bürgerlicher Tugenden gehalten. Es hätte ihm, wie auch der SPD insgesamt, in der Aufarbeitungsdebatte der letzten Zeit gut zu Gesicht gestanden, etwas souveräner mit neuen Fragen nach alten Zusammenhängen umzugehen, etwas gelassener andere Meinungen zu hören, etwas seltener die „Medienhetze“ zu beklagen. Der demokratischen Debatte mündiger Bürgerinnen und Bürger wäre damit besser gedient gewesen.
Holzschuher erzählt gleichermaßen schulterklopfend wie staatstragend, wie großartig sich unser Land entwickelt. Er verkauft dabei echte oder vermeintliche Erfolge der Landespolitik mit der selben selektiven Wahrnehmung, mit der er die letzten 20 Jahre interpretiert: Wenn er eine bessere Betreuung der Opfer der DDR-Diktatur ankündigt, dann spricht er der Opfer Hohn. Längst hat es seine Regierung schwarz auf weiß: Hierzulande ist nie mehr für eben diese Opfer getan worden als zwingend gesetzlich vorgeschrieben. Und das Wenige wurde zudem handwerklich schlecht umgesetzt.
Wozu aber brauchen wir diese Debatte? Bleibt nicht der Streit um bürgerliche Tugenden, brandenburgischen Kleingeist und preußische Traditionen ein Sommerlochthema ohne große inhaltliche Substanz, wenn wir daraus keine politischen Schlussfolgerungen für die Zukunft unseres Landes ziehen? Gauland prophezeit angesichts der demografischen Entwicklung das „Land der zwei Geschwindigkeiten“. Das zu meistern, brauchen wir bürgerliches Engagement und bürgerliche Tugenden: Gute Bildung legt die Grundlagen, transparente und beteiligungsfreundliche Strukturen ermuntern Menschen, ihr Land mitzugestalten. Denn während wir hier über bürgerliche oder proletarische Prägung unseres Landes Rückschau halten, geht das Leben weiter. Längst ist ein neues Bürgertum entstanden. Es artikuliert sich in Bürgerinitiativen, es geht auf die Straße, wenn nötig, es engagiert sich ehrenamtlich und prägt dadurch Gesicht und Zukunft der Mark.
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