9. April

10.04.13 –

Tagsüber: Gentrifizierung in Jerusalem. Eine jahrtausendealte Geschichte. Heute wohnen aus Europa (nach Amerika) vertriebene und dann aus Amerika eingewanderte Juden in wunderschönen alten Häusern, aus denen Palästinenser vertrieben worden sind. Alle wissen von ihrer Vertriebenengeschichte und geben ihren Kindern die Hoffnung mit auf den Weg, dass es ihnen eines Tages gelingt, das Unrecht wieder auszugleichen. Das ist eine Milchmädchenrechnung, alle wissen das. Aber bei all den komplizierten Verstrickungen, wer wem was wann angetan oder weggenommen hat, bleibt nur noch wenig Energie, zu gestalten, was vor uns liegt. Bei so viel Vergangenheit fehlt die Puste für die Zukunft.

Ein jüdisch-israelisches Stadtviertel erkennen wir daran, so wird uns erzählt, dass es Bürgersteige gibt und Mülltonnen, die Häuser ordentlich geplant sind, die Baustile einheitlich. Im Umkehrschluss sind die palästinensischen Stadtviertel unsortierter: Sie brauchen offensichtlich keine Bürgersteige, der Müll wird auf Haufen geworfen und zusätzliche Zimmer auf die die Dächer bunt zusammen gewürfelter Häuser gebaut, wenn die Kinder heiraten und mehr Platz brauchen.

Die jüdisch dominierte Stadtverwaltung benachteiligt den palästinensischen Ost-Teil Jerusalems deutlich, die Palästinenser nehmen aus Protest an den Wahlen nicht teil (Henne oder Ei?). Zwei Palästinenser sollen mal für den Stadtrat kandidiert haben. Der eine wurde niedergeschlagen, der andere erschossen. Danach kandidierte niemand mehr.

Abends kann ich mich endlich wieder erinnern, warum mich dieses Land so fasziniert hat: wegen der Vielfalt der Biografien. Wir treffen zwei U-30-Israelis: Naima, Psychologin, modern-orthodox in engen Hosen und hochhackigen Stiefeln, Großeltern Holocaustüberlebende aus London, New York, Litauen) und Kostya, den Sohn miserabel integrierter russischer Immigranten, der bis kurz vor der Emigration nicht wusste, was es bedeutet, Jude zu sein, und der bei einem Praktikum im Büro des Ministerpräsidenten zum 'Leftist' wurde.

Übrigens: Zum Gebet den Orient zu suchen, sich nach Jerusalem auszurichten, ist das, was wir heute noch 'sich orientieren' nennen. Sonst gibt's wenig Orientierung.



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