Marie Luise von Halem spricht zum Doppelhaushalt 2015/2016, Einzelplan 05 (Bildung, Jugend und Sport)

- Es gilt das gesprochene Wort! [Anrede] Ich muss gestehen, dass ich erwartungsvoll dem Wechsel im Bildungsministerium entgegen gesehen habe. Wenn jemand von einem erfolgreich geführten Ministerium in ein anderes wechselt, dann will er was oder hat einen besonderen Projektauftrag auch im neuen Ministerium. Nun fällt aber immer mehr auf, dass dieser nun nicht mehr ganz so neue Minister eigentlich nichts wollte und will.

10.06.15 –

- Es gilt das gesprochene Wort!

[Anrede]

Ich muss gestehen, dass ich erwartungsvoll dem Wechsel im Bildungsministerium entgegen gesehen habe. Wenn jemand von einem erfolgreich geführten Ministerium in ein anderes wechselt, dann will er was oder hat einen besonderen Projektauftrag auch im neuen Ministerium. Nun fällt aber immer mehr auf, dass dieser nun nicht mehr ganz so neue Minister eigentlich nichts wollte und will. Sowohl in seinen ersten Verlautbarungen als auch auf den ersten Sitzungen des Bildungsausschusses, Wochen nach seinem Amtsantritt, nach genügend Bedenkzeit, wurde nichts deutlich, von dem man hätte sagen können: Ja, deshalb ist er hier. Vielleicht ist das auch von einer Partei nicht mehr zu erwarten, die 20 Jahre an der Spitze dieses Ministerium gestanden hat. - Lehrkräfte einstellen, ja. Ob sie ausreichend und bedarfsgerecht zur Verfügung stehen werden, weiß niemand. Schulzentren: Die sind jetzt schon möglich, wie der Zusammenschluss von Schulen darüber hinaus gefördert werden könne, war nicht zu vernehmen. Und auch zu anderen Themen waren die Vorstellungen eher wolkig und wattig denn substantiell. Dabei kommt der Bildungsminister bei einigen Themen mittlerweile gewaltig unter Druck: Bürgerinitiativen gegen die Früheinschulung und für eine beitragsfreie Kita, anhaltender Unterrichtsausfall und fehlende Zeugnisnoten und nun ganz neu Streichungen bei Angeboten in der außerschulischen Bildung.

Der Haushaltsplan setzt den Stillstand fort: große Plänen gibt es nicht, bis auf einen einzigen: es scheint als ob sich der Minister nie wieder für fehlende Zeugnisnoten rechtfertigen will. Alles wird zusammengekratzt, um die Lehrkräfte in die Schulen zu bekommen. Das Ziel ist gut und unterstützenswert, den Weg dahin würden wir jedoch anders gehen. Hier werden gute Projekte totgewalzt: Gedenkstättenlehrkräfte, Museumspädagogen, Ausbau Ganztag, Ausbau Flex…

Bevor ich mit meiner Kritik im Detail loslege, ziehe ich einen Punkt vor die Klammer: Die Beschulung der Kinder von Asylbewerber*innen. Gerade vergangenen Sonntag auf dem Einbürgerungsfest wurde uns nochmal deutlich vorgeführt, was für eine Bereicherung Migrantinnen und Migranten für unsere Gesellschaft sein können! Umso wichtiger ist es, die Kinder früh zu fördern! Natürlich läuft da noch vieles falsch, das System ist behäbig und die Herausforderung – zumindest in ihrem Umfang! – neu. Aber ich verstehe z.B. nicht, wie die Landesregierung meinen kann, die Zusatzausbildung von nur 50 Lehrkräften jährlich für Deutsch als Zweitsprache könne ausreichen! Aber immerhin erkennen wir hier an, dass das Ministerium sich Mühe gibt.

Wir begrüßen natürlich auch die Verbesserung des Kita-Betreuungsschlüssels: Der muss zwar in seiner Kleinteiligkeit all den Unterstützer*innen der Kita-Kampagne wie ein Hohn vorkommen, aber immerhin, es ist ein weiterer kleiner Schritt und es bleibt zu hoffen, dass außer dem jetzt angekündigten auch noch weitere in dieser Legislaturperiode folgen. Denn sie sind bitter nötig, mal von der überfälligen Qualitätsoffensive und besserer Leitungsfreistellung ganz abgesehen!

Die Startchancen von Kindern in der Schule hängen entscheidend von der frühkindlichen Bildung ab. Die Entwicklungsunterschiede sind riesig, hier werden die wichtigsten sozialpolitischen Weichen gestellt. Um den Orientierungsrahmen für den Übergang von Kita zu Schule (GOrBiKs) nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis gut aussehen zu lassen, wäre es ein richtiger Schritt, auch den Grundschullehrer*innen die Zeit zur Umsetzung zu geben. Ein weiterer wäre der Ausbau des Flex-Angebotes: damit nicht manche Kinder von Anfang an Benachteiligungen ausgesetzt sind! Wir haben im Ausschuss gezeigt, wie wir das machen würden!

Auch die Ganztagsschule kann – wenn sie gut gemacht ist! – ein Beitrag zur Sozialpolitik sein. Das sollte eigentlich Konsens der beiden roten Parteien sein, die hier regieren. Ein Blick in die Programme und auch den Koalitionsvertrag bestätigt das: „Die Ganztagsschulen werden weiter ausgebaut.“ heißt es da auf Seite 10. Aber was kümmert’s den Bildungsminister? – Nicht nur, dass das Beratungsangebot aufgrund mangelnder Bundesgelder demnächst wohl eingeschmolzen wird, nein, jetzt wird Schulen, die eine reduzierte Ganztagsform (nämlich die verlässliche Halbtagsgrundschule) beantragt hatten, die Einrichtung derselben verwehrt, mit der Begründung, das Konzept Ganztag habe Qualitätsmängel. Eine Ablehnung übrigens nicht nur im Widerspruch zum Koalitionsvertrag, sondern auch zu Äußerungen des Ministers Baaske im Januar, wo er den Schulen die zusätzlich benötigten Lehrkräfte noch zugesagt hat! Seit Jahren liegen die Evaluationen der Ganztagsprogramme vor, dass das Ministerium offensichtlich unfähig war, daraus Konsequenzen zu ziehen, müssen jetzt diese Schulen ausbaden – obwohl ihnen immer anderes in Aussicht gestellt worden war. Anstatt sich schleunigst auf den Weg zu machen, Qualitätskriterien zu formulieren und alle Schulen, die auch jetzt schon Ganztag haben, bei der Umsetzung zu unterstützen, scheint das Motto jetzt zu sein: Was kümmert mich mein Geschwätz vom Koalitionsvertrag, wenn ich nebenbei ein paar Lehrkräfte einsparen kann! Und die Kommunen werden vor den Kopf gestoßen, die sich manchmal mühsam dazu durchgerungen haben, die Infrastruktur der Schulen für eine Ganztagsschule fit zu machen. Häufig keine leichte Entscheidung bei klammen kommunalen Kassen.

Halbherzig, wenn auch nicht in Widerspruch zum Koalitionsvertrag, geht die Koalition mit der Forderung nach mehr Schulsozialarbeiter*innen um: nun sollen die 100 zusätzlichen Stellen wenigstens nicht mehr auf 4 Jahre, sondern nur noch auf 2 Jahre gestreckt werden. Dennoch wird hier ein aus unserer Sicht entscheidender Fehler begangen: die Landesregierung erhöht einfach nur die Stellenzahl im jetzigen 510-Stellenprogramm auf 610 Stellen und finanziert damit 20% der zusätzlichen Kosten. Zumal gar nicht sichergestellt ist, dass die Kommunen damit auch mehr Personen einstellen – oder vielleicht nur die finanzielle Erleichterung dankbar annehmen. Aus unserer Sicht brauchen wir an jeder Schule Schulsozialarbeiter. Das muss doch das Ziel sein!

Das lehnen Sie genauso ab wie unsere immer wiederkehrende Forderung nach schulinternen Fortbildungsbudgets: So viel mehr als die Fortbildung von Einzelpersonen (und auch da gäbe es noch viel zu tun!) können Fortbildungen für ganze Kollegien zur Schulentwicklung und Qualitätsverbesserung beitragen! Aber nein, alle Themen, die mit Fortbildung zu tun haben könnten, werden immer nur dem BUS-System übergeholfen, wenigen Leuten, deren Beratungs- und Schulungsfähigkeiten mittlerweile mythischen Umfang angenommen müssen, wenn man zusieht, wie ihre Aufgabenfülle wächst.

Ähnlich abgewatscht müssen sich die Verbände der außerschulischen Jugendbildung fühlen, die eine Erhöhung des Landesjugendplanes von 1.8 Mio gefordert hatten, für die aber lediglich noch ein Plus von 300.000 € übrig bleibt. Sie wollten jedem Brandenburger Jugendlichen die Möglichkeit geben, einmal im Leben eine mindestens 3-tägige Bildungsmaßnahme mitmachen zu können. Wahrlich keine vermessene Forderung, wenn man bedenkt, welch großartige Erfahrungen die Kinder auf diesen Begegnungen machen können, jenseits der festgefahrenen Cliquen in der Schule, jenseits des gewohnten Familienumfelds!

Es zeugt auch nicht von ernstzunehmendem Bildungswillen, wenn die Mittel zur Demokratiebildung junger Menschen (Stichwort Kampagne Wahlalter 16) in den wahlkampffreien Jahren um die Hälfte reduziert werden. Welch verkürzte Vorstellung, Demokratie finde nur in Wahljahren statt!

Mit unserem Verständnis von Demokratie und Beteiligung ist die Kürzung der Mittel für die Schulen in freier Trägerschaft auch weiterhin unvereinbar. Was hier an Engagement und – übrigens auch finanziellem! – Einsatz geleistet wird, ist eine so große Bereicherung für unser Land, dass es uns die 18 Mio, die wir für die Aufhebung der Kürzungen von 2012 beantragt haben, wert sein müsste. Was diese Schulen für unser Land bedeuten und wie sie die Bildungsqualität heben wird nicht zuletzt an der Vergabe des Schulpreises deutlich. Doppelt so häufig wurde eine freie Schule aus Brandenburg für den Deutschen Schulpreis nominiert und auch doppelt so häufig gewann eine solche Brandenburger Schule im Vergleich zu den staatlichen Schulen. Und das obwohl es 5 mal mehr staatliche Schulen gibt.

Die Marschroute dieser Landesregierung besteht aus Bewegungslosigkeit. Möglichst kein Geld ausgeben und nicht bewegen. Sollten kleine Bewegungen unumgänglich sein, möglichst den Blick nicht heben, nach hinten gucken oder nach unten. Bloß nicht nach vorne.

Dass das so ist, wird noch an zwei weiteren Punkten deutlich.

1. Demografische Entwicklung: Die Landesregierung wolle sich an den Ergebnissen der Demografiekommission orientieren, heißt es im Koalitionsvertrag. Getan wird nichts. Zukunftsorientiertes Handeln würde bedeuten, die verschiedenen Modelle für den Zusammenschluss mehrerer Grundschulen mal modellhaft zu erproben und daraus Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen. Oder die weiterführenden Schulen in den Blick zu nehmen. Aber nein, das könnte Geld kosten. Belassen wir es lieber beim Stillstand. Ob sich das vielleicht mal als kurzsichtig erweist? Egal.

Und 2. Inklusion. Der Stillstand bei diesem Thema ist Ausdruck einer tiefen Verantwortungslosigkeit, ja geradezu Kaltschnäuzigkeit gegenüber den Betroffenen. Seit über einem Jahr passiert hier gar nichts, das Ministerium vertröstet auf den vielleicht irgendwann Ende des Jahres vorliegenden Evaluationsbericht über das Pilotprojekt.  Schon immer haben wir kritisiert, dass die aus den Pilotprojekt-Grundschulen ausscheidenden Kinder in weiterführende Schulen müssen, die für sie nicht ausgerichtet sind, dass hier Anschlussmöglichkeiten geschaffen werden müssen. Dass von Seiten der SPD jetzt die Option eingebracht wird, vielleicht könne sich ja ergeben, dass die Lernschwierigkeiten in den Modellschulen behoben wurden und somit keine Inklusion samt zusätzlichen Lehrern in der Oberstufe nötig sei, darf getrost als der Gipfel der Kaltschnäuzigkeit genannt werden. Haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, denn eigentlich immer noch nicht begriffen, dass das, was wir hier machen, nämlich die Einbeziehung von Kindern mit Förderbedarfen in den Bereichen Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung, im internationalen Umfeld noch gar nicht als Inklusion bezeichnet wird, weil es da nämlich um die anderen Förderbedarfe geht, um körperliche, geistige und motorische Entwicklung, Sehen, Hören und Autismus? Und das Inklusion keinesfalls bedeutet, nur die Kinder mit attestiertem sonderpädagogischen Förderbedarf zu fördern? Alle haben doch das Recht auf eine individuelle Förderung und gemeinsames Lernen. Ob schwerbehindert oder hochbegabt, schwierig oder besonders emotional, frisch umgezogen oder nach längerer Krankheit wieder zurück in der Schule. Die Schule soll sich den Bedürfnissen der Kinder anpassen und nicht umgekehrt. Das verschwindet nicht nach der Grundschule! Was wir hier machen, ist sowieso nur die Spielwiese als Einstiegsübung. Und nicht einmal das nehmen Sie ernst, Sie, die Vertreter*innen der sogenannten sozialen Parteien!

Seit über einem Jahr modern die Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirates Inklusion in den düsteren Schubladen Ihres Ministeriums und Sie wiegeln ab, vertrösten und beschwichtigen. Kein Wunder, dass die im November 2014 erschienene Studie „Inklusive Bildung: Schulgesetze auf dem Prüfstand“ des Deutschen Institutes für Menschenrechte uns in Brandenburg ein vernichtendes Urteil ausstellt!

Dabei würde diese Verbesserung des Bildungssystems allen nutzen. Die Schritte dahin sind klar, so vieles könnten Sie auch vor der Auswertung des Pilotprojektes tun. Längst hätte das Land z.B. eine Ombuds-Stelle Inklusion als Anlauf- und Moderationsstelle für Fragen und Konflikte einrichten können oder ein Coaching-Angebot für Schulleiter*innen zur inklusiven Schulentwicklung. Gucken Sie doch einfach in die Empfehlungen!

Aber nein, sie warten ab. Marschroute: möglichst wenig Bewegung! Möglichst nur Aussitzen, Abwarten. Möglichst wenig Geld ausgeben, das brauchen wir auf anderen Baustellen. Die Zukunftsperspektiven der Kinder, die heute ausgebildet werden: dazu müsste man nach vorne gucken! Wahrscheinlich ist Ihr Problem, dass Sie mangelnde Gestaltungslust mit Ewigkeitsanspruch paaren müssen: Da darf man natürlich nicht riskieren, dass einem die Punkte auf der Agenda ausgehen.

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Bildung | Reden